Drei-Tages-Tour: Döggingen – Gauchachschlucht – Wutachschlucht – Lenzkirch – Titisee – Hinterzarten – Kirchzarten – Freiburg

Drei-Tages-Tour: Döggingen – Gauchachschlucht – Wutachschlucht – Lenzkirch – Titisee – Hinterzarten – Kirchzarten – Freiburg

Tag 1: circa 27 km und 290 Höhenmeter
Tag 2: circa 25 km und 700 Höhenmeter
Tag 3: circa 38 km und 340 Höhenmeter

Die Tour verläuft durch die Gauchachschlucht und die Wutachschlucht, entlang des Schluchtensteigs, durch Lenzkirch, Titisee, Hinterzarten und Kirchzarten bis Freiburg. In Hinterzarten und Kirchzarten gibt es die Möglichkeit, abzukürzen und den Rest der Strecke mit dem Zug zurückzulegen. Der Abschnitt durch die Schluchten ist bei regnerischem Wetter recht abenteuerlich und erfordert unbedingt gutes Schuhwerk und Trittsicherheit. Wanderstöcke sind von Vorteil. Unterwegs lassen sich Übernachtungsmöglichkeiten in Schutzhütten finden.

Heute starte ich zu meinem ersten Soloabenteuer. Freitag früh mit dem Zug nach Döggingen. Dann bis Sonntag Abend nach Hause laufen. Oder zumindest so weit Richtung Freiburg wie ich komme und den Rest mit der Bahn. Mein Rucksack wiegt zum Start knapp 30 Kilo und ich kann noch nicht richtig einschätzen, wie viel Strecke damit am Tag realistisch ist, auch mit den Höhenmetern. Durch die Gauchachschlucht und die Wutachschlucht plane ich meinen Weg, durch Lenzkirch vorbei am Titisee, durch Hinterzarten und Kirchzarten bis nach Freiburg. Laut Tourenplanung bei komoot sind das etwa 75 Kilometer. 25 Kilometer am Tag, das sollte zu schaffen sein. Mal schauen, ich bin ja flexibel.

Das Wetter sieht nicht gut aus. Gewittergefahr an allen drei Tagen. Ich will das trotzdem durchziehen. In meinem Leben ist in den letzten Wochen so verdammt viel passiert, ich brauche dringend eine Auszeit. Drei Tage mit mir und meinen Gedanken zu verbringen ist jetzt genau das richtige. Also beschließe ich, die Tour trotzdem durchzuziehen wie geplant. Abbrechen kann ich immer noch. Und irgendwie hab ich auch richtig Lust auf eine Grenzerfahrung. Gemütlich wird das eher nicht, und das ist genau richtig so. Ich will die Herausforderung. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich entschlossen, stur, leichtsinnig oder was auch immer bin, aber ich bin trotzdem vorsichtig. Ich kenne die Strecke größtenteils, zumindest die kritischeren Abschnitte, und ich weiß mittlerweile recht gut, was ich mir zutrauen kann.

Los geht’s in Döggingen am Bahnhof. Ich muss ein Stück durch den Ort, bis ich auf den Wanderweg stoße. Dann bin ich im Grünen und ab da wirds schön. Nach einer Weile betrete ich die Gauchachschlucht durch ein Tor. Hier wird mir nochmal richtig klar, was mich in den nächsten Tagen erwartet: wilde Pfade, stellenweise schwierig und potentiell bei Unwetter. Ein richtiges Abenteuer also. Ich kann es kaum erwarten.

Der Weg durch die Schlucht ist zunächst zwar etwas verwuchert, aber gut zu gehen. Immer wieder führen schmale Stege über das kleine Flüsschen. Es ist nicht hoch, doch da mein Rucksack breiter ist als die Stege, muss ich trotzdem etwas aufpassen. Eine ganze Weile lang führt der Weg recht beschaulich an der Gauchach entlang. Es ist neblig, warm und feucht. Ich fühle mich ein bisschen wie im Regenwald. Es fühlt sich herrlich an, so unglaublich weit weg vom Alltag und von der ganzen Welt. Es regnet, doch der Regen ist warm und ich brauche keine Jacke. Der Weg ist größtenteils überwachsen, ich werde ohnehin kaum nass. Außer von den Pflanzen, die den Wegesrand säumen und so sehr wuchern, dass es sich noch mehr nach Urwald anfühlt.

Noch bin ich niemandem begegnet. Allmählich wird der Weg anspruchsvoller. Felsig und schlammig, stellenweise sehr abschüssig und rutschig. Als mir schließlich auf dem schmalen Pfad ein Wanderer entgegenkommt und ich auszuweichen versuche, rutsche ich kurz weg. Ich fange mich wieder, doch mit dem schweren Rucksack ist es gar nicht so leicht, die Balance zu bewahren. Ich werde vorsichtiger, achte besser auf den Weg und setze meine Wanderstöcke gezielt ein. Der Weg führt felsig am Wasser entlang, stellenweise auch durch flache Bereiche des Flusses. Mit dem großen Rucksack ist das gar nicht so einfach zu laufen, da der Fels oft in den Weg hineinragt. Ich komme nur sehr langsam voran, aber es macht großen Spaß, sich immer wieder seinen Weg suchen zu müssen.

Je näher ich der Stelle komme, an der die Gauchach in die Wutach mündet, desto mehr Leute begegnen mir. Das Wetter schreckt doch weniger ab, als gedacht. An der Wutach angekommen klart der Himmel auf und die Sonne kommt heraus und ich mache eine erste kurze Pause. Es wird richtig warm und bleibt ein Weilchen so. Doch dann grummelt der Donner und es fängt an zu regnen. Ich passiere gerade eine Bank unter einem Baum und mache Halt, um die Regenhülle auszupacken. Es fängt richtig an zu schütten und ich ziehe auch meine Regensachen an. So ausgerüstet laufe ich weiter. Es gießt wie aus Eimern, aber da ich nicht nass werde, stört mich das nicht weiter. Im Gegenteil, ich fühle mich sehr beschwingt.

Als ich die Felsengalerie entlang laufe, wird aus dem Regen Hagel. Ich beschließe kurzerhand, unter einem Felsvorsprung Schutz zu suchen und das Schlimmste abzuwarten. Ich sitze wie in einer kleinen Höhle, während um mich herum die Welt untergeht und finde das ziemlich gemütlich. Eigentlich wollte ich nicht so schnell wieder Pause machen, aber wenn ich hier eh schon festsitze, kann ich auch was essen.

Als das Unwetter nachlässt, laufe ich weiter. Entlang der Wutachversickerung wird es wieder weniger felsig und dafür sehr schlammig. Die Regenkleidung ziehe ich aus, es regnet kaum noch und ist warm. Dafür werde ich von Mücken geplagt. Von wegen Teebaumöl, nächstes Mal gibt’s die volle Chemiekeule. Auch den Brennesseln auszuweichen gebe ich irgendwann auf, dazu ist der Weg zu zugewuchert. Eigentlich bin ich bei Mücken und Brennnesseln ganz schön pienzig, aber heute ist es mir irgendwie ziemlich egal. Es gibt so viel wichtigeres als leichtes körperliches Unbehagen. In meinem Wander-Zen-Modus kann ich das problemlos ignorieren.

Am frühen Abend erreiche ich die Stelle, die ich für meine erste Übernachtung angepeilt habe. Von der Wanderung mit Chrissi, Jan und Dominik kenne ich einen Platz mit einer eingerichteten Grillstelle. Hier kann ich meinen Kocher aufbauen, ohne die Regeln des Naturschutzgebiets zu verletzen. Glück gehabt, hier ist niemand außer mir. Ich lasse den Rucksack erstmal an der Grillstelle stehen und scoute die Umgebung nach einem guten Platz für meine Hängematte. Ein Stück den Berg hoch werde ich fündig. Zwei Bäume am Waldrand, durch dichtes Buschwerk von unten nicht zu sehen, stehen in perfektem Hängemattenabstand. Leider habe ich unterschätzt, wie feucht die Wiese ist und meine Füße sind nass. Naja, nicht zu ändern.

Zurück zur Grillstelle gibt’s jetzt erstmal Abendessen. Erbseneintopf aus der Tüte und Salami dazu. Das Wasser zum Kochen hole ich aus einer nahegelegenen Quelle, wo ich auch später den Abwasch mache. Nach dem Essen packe ich alles zusammen und laufe wieder den Hang hinauf zu meiner Schlafstelle, dieses Mal in Schlappen und mit den Wanderschuhen um den Hals. Ich bin ja lernfähig. Es dauert eine Weile, bis ich mein Lager eingerichtet habe. Einmal knallt es, es klingt wie ein Schuss und ich habe kurz Sorge, dass ich gleich entweder erschossen oder von einer flüchtenden Rotte Wildschweine niedergetrampelt werde. Aber es passiert nichts weiter und ich lege mich in die Hängematte, wo ich auch recht bald einschlafe.

Am nächsten Morgen liegt Nebel über der Schlucht, doch die Spitzen der Bäume, die die Hänge säumen, sind sonnenbeschienen. Ich glaube, das wird ein guter Tag. Ich packe zusammen und setze mich runter an die Grillstelle, wo ich erstmal Kaffee koche. Ein Feuersalamander kriecht träge vorbei während ich frühstücke. Nach dem Frühstück schmeiße ich alles irgendwie in den Rucksack und laufe die ersten Meter in Schlappen, mit den Wanderschuhen in der Hand. Ich erinnere mich nämlich, dass kurz nach dem Rastplatz ein Wasserfall kommen müsste, der sich perfekt zum Duschen eignet.

Und meine Erinnerung trügt nicht. Ich breite meine Sachen am Wegrand aus und gönne mir eine ausgiebige Dusche. Eiskalt ist es, und tut unglaublich gut. Sauber und erfrischt schlüpfte ich in meine Wanderklamotten und mache mich bereit. Meine Schuhe sind leider immer noch nass. Um Blasenbildung möglichst vorzubeugen, reibe ich meine Füße ordentlich mit Vaseline ein, bevor ich Socken und Schuhe anziehe. Dann starte ich zur zweiten Tagesetappe.

Kurz vor der Schattenmühle wird es voll. Mir kommen lauter Wandergruppen entgegen, teilweise 10-20 Leute und ich muss andauernd stehen bleiben um sie vorbeizulassen. Auf dem schmalen Pfad kommt man schlecht aneinander vorbei. Irgendwann bin ich ein wenig genervt, da ich kaum voran komme, doch nachdem ich die Schattenmühle hinter mir gelassen habe, geht es wieder.

Bereits am Räuberschlössle mache ich die erste Pause. Die Sonne scheint, daher lasse ich meine Füße trocknen, reibe sie wieder mit Vaseline ein und wechsle die Socken. Das werde ich heute öfter machen müssen, wenn ich mir nicht schlimme Blasen laufen will. Mein angepeiltes Ziel für die zweite Übernachtung werde ich so wohl nicht erreichen. Aber egal, ich laufe einfach so weit wie ich Lust habe.

Der Weg bis Lenzkirch ist abwechslungsreich. Waldig, felsig, sonnig, teils schmal, teils breit. Das Wetter ist zunächst wechselhaft, immer wieder regnet es, bevor sich die Sonne endgültig durchsetzt. Ich packe die Regenhülle weg und hänge die feuchten Sachen zum Trocknen an den Rucksack. In Lenzkirch kaufe ich frisches Wasser und noch etwas zu essen und mache eine weitere Pause zum Füße trocknen. Nach fast 20 Kilometern spüre ich zum ersten Mal ganz deutlich, wie viel anstrengender sowas mit so einem schweren Rucksack ist.

Nach einer kleinen Stärkung nehme ich den letzten Abschnitt der heutigen Tagesetappe in Angriff. Es geht ordentlich bergauf in der prallen Sonne, und ich bin froh, dass ich noch Wasser nachgekauft habe. Bis jetzt war ich nicht ganz sicher, ob ich es nicht doch schaffen könnte, mein angepeiltes Zwischenziel zu erreichen, wenn ich meine Grenzen etwas ausreize, doch mein Körper mahnt mich, dass das keine gute Idee sei. Schließlich will ich morgen noch was leisten. Ich höre auf ihn und schaue auf der Karte, wo eine geeignete Stelle zum Übernachten sein könnte. Die Balzenwaldhütte sieht vielversprechend aus, und so weiche ich ein Stück von meiner geplanten Route ab. Es geht nochmal richtig steil bergauf, über ein längeres Stück. Es ist sehr anstrengend, ich bin bereits ziemlich erschöpft, und so konzentriere ich mich einfach darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Langsam, aber kontinuierlich arbeite ich mich den Berg hoch. Jetzt spüre ich jedes Kilo auf dem Rücken. Aber genau das wollte ich ja, meinen Körper spüren und meine Grenzen austesten.

Als die Steigung endlich flacher wird, stoße ich auf eine offene Hütte mit einer Wiese vorne dran. Hier gibt es eine Feuerstelle und einen Brunnen. Es ist nicht die Balzenwaldhütte, doch in der Nachmittagssonne ist es hier so schön, dass ich beschließe, hier zu lagern. Erst überlege ich, ob ich meine Hängematte aufhängen soll, aber so eine Nacht im Trockenen wär auch mal nett, deshalb richte ich mein Schlaflager in der Hütte ein. Ich koche mir lecker Pasta auf meinem Kocher. Danach probiere ich mich an einem Lagerfeuer. Ich schaffe es sogar, eins in Gang zu bringen, aber mit dem feuchten Holz ist es ein ganzes Stück Arbeit, es am Leben zu erhalten, deshalb lasse ich es bald wieder ausgehen.

Stattdessen setze ich mich auf die Bank vor der Hütte und lausche dem abendlichen Wald. Kurz vor zehn geben die Vögel nochmal alles, danach kehrt schnell Ruhe ein. Doch auch ohne Vogelgesang ist der Wald voller Leben. Hier und da huscht etwas in der Dunkelheit und es gibt jede Menge interessanter Geräusche. Nur eines höre ich nicht – Menschen. Zivilisationslärm. Ich bin der einzige Mensch weit und breit und es fühlt sich an, als sei ich der einzige Mensch auf der Welt. Ein abgefahrenes Gefühl. Hier, allein im Wald komme ich wirklich zu mir. Nichts lenkt mich ab. Das Handy habe ich nach einer letzten Statusmeldung in dem Flugmodus geschaltet, das Netz ist sowieso schwach.

Ich lasse die letzten Tage Revue passieren. So ein schönes Abenteuer. Spannende Wege. Schöne Ausblicke. Herausforderungen meistern. Den eigenen Körper spüren. Lebendigkeit. Herausfinden, wo die eigene Komfortzone endet, und wann es an die Reserven geht. Die eigene Fitness spüren und genießen. Unabhängig sein, im vollen Vertrauen auf die Fähigkeit, sich selbst helfen zu können. Unannehmlichkeiten akzeptieren und das Beste aus allem machen. Mit meinen Gedanken allein sein, Gefühle wahrnehmen. Mir selbst gute Gesellschaft zu sein. Solche Touren sind Balsam für die Seele.

Am nächsten Morgen schlafe ich bis um acht. Fürs draußen schlafen ist das lang. Der Schutz der Hütte und die Erschöpfung machen offenbar einen Unterschied. Ich wache nachts öfter auf, schlafe aber immer gleich wieder ein. Morgens fühle ich mich etwas zerschlagen. Mein Körper tut weh und ich fühle mich erschöpft. Es geht mir gut und ich hab noch Lust weiterzulaufen, aber ich merke, wie viel anstrengender das Laufen mit so einem schweren Rucksack ist. Ich bin mir sicher, diese drei Tage werde ich Anfang der Woche noch spüren.

Jetzt erstmal Kaffee. Glücklicherweise war ich gestern Abend so clever, was von dem Holz mit in die Hütte zu nehmen, denn nachts hat es ordentlich geregnet. Bin ich froh, in der Hütte geschlafen zu haben. Noch ein Tag mit nassem Schuhen hätte meine Laune dann wohl doch etwas getrübt. Mit dem halbwegs trockenen Holz bekomme ich das Feuer schnell in Gang und frühstücke erstmal. Danach fühle ich mich deutlich frischer. Am Brunnen hinter der Hütte wasche ich mich gründlich und das kalte Wasser macht mich endgültig wach. Jetzt bin ich bereit für den Tag.

Ich packe gemächlich zusammen und weil gerade die Sonne rauskommt setze ich mich noch eine Weile vor die Hütte, lasse meine Füße richtig trocknen und genieße die Wärme. Als ich schließlich zu meiner dritten Tagesetappe starte, ist es fast Mittag. Egal. Ich hab Zeit, laufe einfach so weit wie ich Lust hab. Mein Weg führt mich parallel zur Bahnlinie, ich hab einige Optionen abzukürzen und den Rest zu fahren. Heute will ich das Laufen nochmal richtig genießen, ohne Zeitdruck. Sportlich wirds mit dem Rucksack so oder so.

Kaum bin ich in Bewegung, bekomme ich richtig Lust zu laufen. Ich lege ein gutes Tempo vor. Ich spüre meine Muskeln, spüre, was mein Körper in den letzten Tagen bereits geleistet hat und gerade wieder leistet. Der Rucksack ist zwar mittlerweile leichter, aber immer noch schwer. Mir tut alles weh, aber auf die gute Art. Ich bekomme nun doch Lust, mal wieder an meine Grenzen zu gehen. Die Reserven antasten, ohne sie aufzubrauchen. Morgen bin ich im Homeoffice, da kann ich bei geistiger Arbeit meinen Körper regenerieren. Warum also nicht. Vielleicht schaffe ich es ja doch wenigstens bis zum Ortseingang Freiburg, wenn schon nicht bis nach Hause. Es macht richtig Spaß, mich anzutreiben. Meine Schuhe sind leider noch nicht ganz trocken, meine Füße werden schnell wieder feucht. Heute werde ich zwar schon mittags mal eine längere Pause machen, die Schuhe aber ansonsten anlassen. Kann gut sein, dass meine Füße heute Abend Hackfleisch sind, aber egal, ich will ja morgen nicht mehr laufen.

In Titisee ist furchtbar viel los. Regelrechte Menschenmassen in den Straßen. Nach so einer Nacht im Wald ist das sehr befremdlich. Ich halte Ausschau nach einer Bäckerei oder einem Supermarkt, aber überraschenderweise gibt es keins von beidem. In einem Café hole ich mir eine Rosinenschnecke und fülle mein Wasser nochmal auf. Dann geht es weiter noch Hinterzarten. Dort finde ich endlich eine Bäckerei, kaufe belegte Brötchen, packe sie aber nur schnell ein und laufe weiter.

An einer Gabelung entscheide ich mich gegen den Bodensee-Querweg. Den will ich auch unbedingt mal laufen, aber heute bleibe ich lieber parallel zur Bahnlinie und orientiere mich an den Schildern Richtung Kirchzarten. Bei aller Leistungsbereitschaft und dem Willen, an meine Grenzen zu gehen – ich war noch nie so lang mit so viel Gepäck unterwegs, wenn ich mich verschätze und es nicht bis Freiburg schaffe, will ich den Rest des Weges ab Kirchzarten im Zweifel mit der Bahn zurücklegen können. Grenzen ausreizen ja, meinem Körper schaden nein.

Ich laufe den Löffeltalweg entlang am Rotbach. Ein kleines Stück muss ich direkt an der B31 laufen, dann geht es ab dem Hofgut Sternen am Höllenbach entlang. Es ist erstaunlich schön und urig hier, man merkt kaum, dass man in unmittelbarer Nähe zur B31 läuft. Ich mache eine Pause, lasse meine Füße nochmal trocknen und esse die belegten Brötchen. Allmählich spüre ich jeden Muskel und bevor ich den Rucksack wieder aufsetze dehne ich mich noch etwas.

Bei der Posthalde verlässt der Weg den Bach und es geht nochmal bergauf. Das nächste Stück ist relativ eintönig, aber das kommt gerade recht. Ich konzentriere mich aufs Laufen. Meine Füße sind wund, und ich glaube das Dehnen war nicht gut. Mein rechtes Bein schmerzt stark, es fühlt sich ein bisschen nach einem gereizten Nerv an. Egal. Laufen ist nicht schwer, man muss immer bloß einen Fuß vor den anderen setzen. Ich blende die Schmerzen aus, so gut es geht. Die nächsten Kilometer sind hart, aber dann geht es besser und ich finde einen guten Laufrhythmus.

Zum ersten Mal in diesen drei Tagen wird es in meinem Kopf völlig still. Am ersten Tag hab ich vor allem die Landschaft und das Gefühl von Abenteuer genossen. Am zweiten Tag gab es viel Introspektion und emotionale Prozesse. Heute steht die Leistungsfähigkeit meines Körpers im Vordergrund. Meine innere Stimme hat zu all diesen Themen viel zu sagen. Jetzt, wo ich mich allmählich meinen Grenzen nähere, verstummt sie zum ersten Mal auf dieser Tour. Der „langweilige“ Weg erfordert kaum Konzentration und so laufe ich einfach, ohne zu denken. Kurzzeitig komme ich wie in eine Art Trance, nehme nichts mehr wahr als den Weg, der sich vor mir erstreckt und es fühlt sich an, als würde ich über dem Boden dahinschweben.

Dieser Zustand endet, als der Weg mich bei Falkensteig wieder an den Höllenbach führt. Hier gibt es wieder mehr zu sehen und ich freue mich an der Schönheit der Umgebung. Auf den Weiden am Wegesrand grasen Schafe, die mich neugierig beäugen. Eines der Jungtiere kommt ganz nah an den Zaun, als wolle es mich begrüßen. Ich laufe den Bach entlang, bis der Weg bei Höfen davon wegführt und laufe weiter bis Kirchzarten.

Knapp über 30 Kilometer zeigt meine Fitnessuhr an, als ich die Kirchzartener Ortsmitte passiere. Ich könnte den Rest mit der Bahn zurücklegen. Aber ich will es jetzt wissen. Ja, mir tut mittlerweile alles weh und es regnet auch wieder, aber jetzt hat mich der Ehrgeiz gepackt. Ich wollte doch an meine Grenzen gehen, sie ein bisschen ausreizen. Jetzt ist die beste Gelegenheit dazu. Also laufe ich weiter. Meine frische Entschlossenheit beflügelt mich, so dass ich mit einem fröhlichen Grinsen im Gesicht durch die Fußgängerzone marschiere. Die Leute, die vor dem Sommerregen geschützt unter Schirmen in den Außenbereichen der Gaststätten sitzen, schauen mich verwundert an. Wahrscheinlich denken sie, ich bin ein wenig irre. Und wahrscheinlich haben sie damit nicht ganz Unrecht.

Parallel zur Bahnlinie und entlang der Dreisam lege ich die letzten Kilometer bis nach Freiburg zurück. Das energiegeladene Gefühl hält noch kurz an, bevor die Erschöpfung wieder die Oberhand gewinnt. Mein Körper protestiert immer stärker, aber ich weiß, dass ich die letzten 5 Kilometer auch noch schaffen kann. Es wird dunkel und kühl und der Regen wird stärker. Mittlerweile treibt mich reine Willenskraft an. Trotzdem fühle ich mich richtig gut. Nicht körperlich, da ist nur noch Erschöpfung und Schmerz. Aber zu spüren, dass der Geist und die Willenskraft stärker sind, das ist ein äußerst berauschendes Gefühl. Und es ist höchst interessant zu merken, wie viele Reserven da noch sind. Wenn ich müsste würde ich es wahrscheinlich sogar bis ganz nach Hause schaffen. Aber das wäre dumm, ich will mich zwar fordern, aber mir nicht schaden. So laufe ich bis zur Straßenbahnhaltestelle in Littenweiler, wo ich endlich den schweren Rucksack absetze und mich hinsetze. Mit der Bahn einmal quer durch Freiburg, dann bin ich endlich zu Hause. Was für ein Abenteuer!

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